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Das Dorf Altleiningen

Die Struktur

Altleiningen liegt ungefähr in der Mitte des Oberlaufs des Eckbachtals, der über 25 km aus den Tiefen des Pfälzer Waldes nach Osten führt, bei Kleinkarlbach in die Rheinebene eintritt und von dort weitere 23 km durch die Weinberge, die Gemüsefelder und dann den Ballungsraum Mannheim / Ludwigshafen den Rhein erreicht. Altleiningen ist nicht die Flaniermeile der Pfalz, sondern das Hinter- und Wanderland. Wer den brodelnden Auftrieb sucht, muss am Wochenende an die Weinstrasse fahren, wo sich klangvolle Namen aneinanderreihen wie Perlen: Forst, Deidesheim, Wachenheim, Bad Dürkheim, Neustadt mit ihren namhaften Weingütern und einer hervorragenden Gastronomie, die unsere Freunde Susanne und Utz Ueberschaer in den 1970er Jahren erfunden haben. Altleiningen hingegen ist still und unprätentiös, nicht alle Bauwerke sind titelseitenfähig. Im Westen erreicht man noch die Dörfer Hertlingshausen und Carlsberg mit einigen schrulligen Splittersiedlungen, die sich in den 1920er Jahren in den Pfälzer Wald gefressen haben. Dann kommt nur noch Wald: im Westen bis Kaiserslautern und im Süden bis Wissembourg im Elsass das grösste zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands, allerbestes Wanderland. Altleiningen hat 1.860 Einwohner, keine Ampel und ist einer der drei Eckpunkte des Leininger Landes: Altleiningen, Battenberg, Neuleiningen. Wen immer Ihr nach diesen drei Gemeinden fragt – jeder fängt in der Aufzählung woanders an, je nachdem, wo er wohnt. Den Rest lest Ihr besser bei Wikipedia.

Einkaufen

Altleiningen ist gemessen an seiner Lage ziemlich gut versorgt: es gibt einen netten Dorfladen (300 m Fussweg) mit den Dingen des täglichen Bedarfs und richtig guten frischen Brötchen, einen Polsterer, einen IT-Dienstleister, eine Filiale der Sparkasse Rhein-Haardt mit Geldscheisser, einen Getränkemarkt in Sichtweite, einen Elektriker, einen Friseur – und es gibt die famose Metzgerei der Brüder Hepp, genau gegenüber der Tiny Church, die ein unglaublich gutes Sortiment aus eigener Herstellung anbietet, darunter auch wechselnde frische Tagesessen zum Warmmachen. Für Patrizias Kohlroulade könnte man einen Lustmord begehen. An Samstagen muss man auf der Gass‘ anstehen und nutzt die Zeit, um über die Nicht-Abstiegschancen des 1. FC Kaiserslautern zu verhandeln. Freitags findet auf dem Bahnhofplatz (100 m) ein allerliebster Wochenmarkt statt. Auf halber Strecke nach Kleinkarlbach liegt der Kleinsägmühler Hof, in dem tolle behinderte und tolle nicht behinderte Menschen Landwirtschaft und einen Hofladen betreiben, der Bio-Produkte anbietet.

Für den grossen Einkauf stehen in Grünstadt (10 km) alle Supermärkte zur Verfügung, die man braucht oder auch nicht. Das grösste Sortiment hat der GLOBUS mit angeschlossenem Baumarkt. In Grünstadt kann man - chic angezogen - durch die Fussgängerzone  flanieren und hier und dort lässig einen Aperol Spritz geniessen.

Die Nachbarschaft

Neuleiningen (9 km)

liegt auf einem Felssporn an der Kante zwischen Berg und Rheintal, 80 Meter höher als die Ebene. Neuleiningen ist umgeben von einer historischen Stadtmauer und gekrönt von der Burgruine. Es gibt 6 Gassen, ungefähr 20 Treppenwege und enorm viele Photomotive. Es gibt aber auch drei Winzer, deren Nachfolgergeneration sehr gut ausgebildet ist und einen köstlichen Tropfen herstellt. Und es gibt sechs Restaurants, die alle Bedürfnisse abdecken. Neuleiningen nennt sich „Perle der Pfalz“ – zu Recht, aber das tun viele Dörfer in dieser tollen Gegend, ebenso mit Recht. Es gibt übrigens auch erstaunlich viele Gegenden bei uns, die sich „Toscana der Pfalz“ nennen – und alle haben Recht. Eins aber zeichnet Neuleiningen aus: an den beiden ersten Adventswochenenden findet - sofern die "Umstände" das zulassen - ein ausgesprochen stimmungsvoller Weihnachtsmarkt statt, für den viele Bürger ihre Höfe und Scheunen öffnen.

Freinsheim (13 km)

liegt in der Ebene, umgeben von Weinlagen, umringt von einer vollständig erhaltenen Stadtmauer, die man auf der Innen- wie auf der Aussenseite umwandern kann. An einer Stelle ist die Gasse so schmal, dass der Kinderwagen hängen bleibt. Die Gastronomie ist vielfältig, im „von Busch Hof“ wird konzertiert und ausgestellt, man picknickt in einem erstaunlichen Barockgarten mit angeschlossenem Apothekergarten, man streift durch die krunkeligen Gassen.

Wir könnten viele Dörfer und Städtchen in der Nachbarschaft empfehlen: Dirmstein, Eisenberg, die fancy Dörfer an der Weinstrasse, die Mittelzentren Bad Dürkheim und Neustadt an der Weinstrasse. Sprecht uns an – wir können gerne beraten.

Die Mennoniten

Unsere Tiny Church war seit 1811 durchgehend eine Kirche der Mennoniten-Gemeinde. Beim Wandern haben wir im  Schaukasten am Zaun einen schreibmaschinengeschriebenen Zettel gesehen: das Kapellchen steht zum Verkauf. Wir haben die Telefonnummer notiert und Herrn Hirstein angerufen, der die Geschäfte der kleinen Gemeinde abzuwickeln hatte. Herr Hirstein war der „Zähler“ der Gemeinde – er hat nach dem Gottesdienst die Kollekte gezählt und das kleine Vermögen verwaltet. Nach alter Regel löst eine Mennoniten-Gemeinde sich auf, wenn nur noch 15 Mitglieder geblieben sind. Das feste Vermögen wird dann veräussert, die Mitglieder schliessen sich einer benachbarten Gemeinde an und bringen den Erlös dort ein. Die Verhandlungen mit Herrn Hirstein waren ausgesprochen nett und irgendwie „humanistisch“. Es gibt bei den Mennoniten keine Zeremonie oder Profanisierung wie bei den Landeskirchen, wenn ein Gotteshaus umgewidmet wird. Eine Kirche ist ein Haus und kein Heiligtum. Seit Jahrhunderten haben die Mennoniten den Dienst an der Waffe verweigert. Das hat ihnen oft Verfolgung und Bedrängnis eingebracht – und unsere Hochachtung. Zur beeindruckenden Geschichte der Mennoniten verweisen wir auf das Mennoniten-Archiv auf dem Weierhof oder auf Wikipedia.

Essen und Trinken

Zuerst die schlechte Nachricht: unsere Nachbarn von der Krone, Christine und Günther, haben aus gesundheitlichen Gründen ihren Betrieb eingestellt. Wer hier nicht wenigstens einmal gegessen hat, kann diesen Verlust überhaupt nicht einschätzen. Wir hoffen immer noch, dass Günther doch noch einmal seinen furchterregenden Scheitholzofen einschürt und die Gerichte aus der alten Zeit herbeizaubert. Die Schweinebäckchen in Dornfeldersauce sind Legende.

Oben, in der Altleininger Burg, bietet das Bistro der Jugendherberge derzeit nur das an, was in allen Jugendherbergen Rheinland-Pfalz auf der Speisekarte steht: Snacks, Pizza, Flammkuchen, Currywurst und die üblichen verdächtigen Getränke, darunter auch gute Säfte und gute Weine. Von der Terrasse schweift der Blick über den Bischofswald. Zu Fuss sind es gerade mal 8 Minuten – natürlich auch nicht länger zum Freischwimmbad mit grosser Liegewiese, Kiosk und der mächtigen Burg als Bildhintergrund. Wir haben das zweidreimal versucht - und es war überraschend gut und erdig.

Auf der gegenüberliegenden Talseite liegt der Sportplatz der Fussballer: die TUS 1889. Im Vereinslokal wird gefachsimpelt, gekartelt – und man serviert erstaunlich gute Steaks.

Im Herbst 2021 hat in Sichtweise zu den Tiny Places, am Bahnhofsplatz, das hübsche Café Altleiningen in den Räumen einer ehemaligen Druckerei geöffnet. Geht auf die Gass', wendet Euch nach links, nach 80 Metern nach rechts - und Ihr seid schon da. Nette Menschen bieten tollen Wein von Neis (Kindenheim) an und unterfüttern ihn mit einer kleinen Auswahl an guten Speisen: Salat, Suppe, Pinsa und Kuchen. Leider derzeit nur bis 18.00 h, aber das wird sich hoffentlich ändern.

Direkt vor dem Green Tiny House zweigt die Landstrasse nach Höningen (2 km) ab. Rechts von ihr läuft parallel ein Pfad am Waldrand für die, die aus guten Gründen nicht mit dem Auto fahren wollen. In Höningen laden zwei hervorragende Etablissements zum Essen und Trinken ein: die Klosterschänke mit romantischem Garten und einem feinen Angebot in der mittleren Preislage, sowie das Jagdschloss, allgemein bekannt unter dem Namen „Herbel“ nach der Familie, die es seit Gedenken führt.

Ebenfalls mit schöner Aussenbewirtschaftung ausgestattet, lockt der Herbel mit traditioneller Pfälzer Küche. Das Flagschiff ist ohne Zweifel das Cordon Bleu, von beeindruckender Größe und betörender Zartheit. Man nennt es zu Recht die "Mutter aller Cordon Bleues".

In Neuleiningen sieht es in dieser Hinsicht ebenso gut aus. Wir empfehlen – ohne dass die Reihenfolge bedeutsam ist - den Burggrafen in der Mittelgasse mit seiner Terrasse, die wie eine Loge über dem Rheintal thront. Wer richtig viel Glück hat, findet die Rinderroulade auf der Tageskarte von Andrea und Thomas. Viele haben nach deren Genuss die Beherrschung verloren und unvernünftige Zusagen gemacht, um einen Nachschlag zu erhalten.

Wir empfehlen aber auch die Burgschenke, in unvergleichlicher Urigkeit in den Gewölbekellern unter der Burg gelegen, weithin berühmt und geliebt für deftige Gerichte und unfassbare Filetsteaks. Wer am richtigen Abend kommt, wird von unserem Bürgermeister Franz begrüsst, der die Burgschenke bewirtschaftet. Manchen Gästen aus der Ferne gibt er gerne einen Schnaps aus. Fragen kostet nix.

Für den grossen Hunger auf lokale Kost bietet der Engel seine Dienste an. Bettina und Paule legen viel Wert auf eine ganz besondere Atmosphäre und spielen das Thema ihres Restaurants in der Gestaltung, der Speisekarte und in ihren tollen Events aus.

In der Mittelgass‘ etabliert sich der Gäsbock mit einer erstaunlich vielfältigen Karte und vernünftigen Preisen. Das Repertoire reicht von mediterranen Pasta-Gerichten über die kernige pfälzische Küche bis hin zur Grande Cuisine.

Am Eingang der Untergass‘ residiert die Alte Pfarrey unter Silvio Lange. In den 1980er Jahre war das die Basis des kulinarischen Siegeszugs von Susanne und Utz Ueberschaer, die die Pfälzer Küche aus dem fettigen Desaster des Saumagens hinaufgeführt haben in den Olymp der Kulinarik. Immer noch erkocht sich die Alte Pfarrey alljährlich einen Stern, immer noch ist das Essen und die Performance erstklassig. Und Silvio kann sogar aus einem Saumagen ein Kunstwerk entstehen lassen.

Am unteren Dorfeingang haben Andreas und Chris Hegmann vor einigen Jahren das Restaurant Liz Stuben übernommen und unter dem Label H´manns zu einem veritablen Feinschmecker-Etablissement entwickelt. Noch sind die beiden nicht bemützt oder bekrönt, aber die Reise geht ganz klar in diese Sphären.

Auf der nördlichen Seite der A6, in der Weinlage Sonnenberg, liegt das gleichnamige Restaurant in perfekter Alleinlage und inmitten der Weinberge, mit Blick auf das Dorf und weit hinab in die Rheinebene. Die Karte ist witzig, findet genau die Mitte zwischen Mainstream und Wagnis, der Service ist perfekt, und man spielt – kaum hörbar, aber gut wahrnehmbar – eine erstaunlich gute Musik. Wo sonst könnte man zu einer unvergleichlichen Kartoffelsuppe  Songs von Leonard Cohen geniessen ?

In der historisch bedeutenden Alten Kellerei in der Untergasse haben im Sommer 2021 Franzi und Marc ihr Weincafé eröffnet. Geöffnet von Freitag bis Sonntag, unfassbar schöne location, lässig, kleine Karte, grosse Kulisse, von der Terrasse eine endlose Aussicht in die ferne Rheinebene nach Osten und das Eckbachtal nach Westen. Segelflieger sagen dazu: eine Aussicht bis zum eigenen Hinterkopf. Sucht aber bitte dorten keinen Stellplatz für Euren Opel Kadett ! Parkt auf dem grossen Parkplatz schräg gegenüber der Einfahrt in das Dorf ! Bestellt dann den Flammkuchen mit Lachs und Scampi und einen Weissen Burgunder von Karlheinz Gaul, oder auch zwei, bitte !

Noch ein offener Geheimtipp: wer sich einfach nach einer amtlichen Rieslingschorle oder einem wirklich trockenen Winzersekt vom Grauburgunder sehnt, der sollte den Hof des Weinguts Nippgen am Eingang des Dorfes ansteuern. Manchmal kommt die schnelle Anne und stellt irgendwas Selbstgebackenes auf den Tisch. Schon ist sie wieder weg. Punkt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Wir bieten Euch übrigens Johannes‘ Weine und Sekte auch in den Tiny Places an. Dafür muss er aber auch die Gläser stellen.

Überall in unserer gesegneten Gegend finden von Mai bis November zahlreiche Weinfeste statt, die inzwischen nicht mehr nur noch zickezacke den mächtigen Durst löschen wollen, sondern auch kulinarisch beeindrucken können. Das gilt auch für die vielen Weinwanderungen, bei denen an Strecken von etwa fünf Kilometern Länge in den Weinbergen bunte Zelte und Hütten etabliert werden, in denen allerfeinste Gerichte angeboten werden.

Wandern

Die Pfalz ist das Wanderland unserer Republik schlechthin. Schöne Wege gibt es überall, allerortens versprechen die Wanderführer eine grandiose Aussicht nach langem Aufstieg und überall werden mit Recht und Erfolg Themenwege erschlossen: der Geisterweg, der Mörderweg, der Zwergensteig und der Schluchtenpfad. Aber nirgendwo ausser im Pfälzer Wald gibt es die Kultur des Pfälzerwald-Vereins, seiner Wegpflege und seiner Wanderhütten. Es gibt davon ungefähr 200, verstreut im gesamten Waldgebiet, viele nur per pedes zu erreichen, alle ehrenamtlich betrieben, preiswert, herzlich und das Beste, was einem nach einer langen Tour passieren kann. Seit 2021 sind die Wanderhütten des Pfälzerwalds Bestandteil des immateriellen UNESCO-Kulturerbes der Menschheit. Damit stehen sie auf einer Stufe mit dem Wattenmeer, der Weinkultur Deutschlands und der alemannischen Fassnacht.

Ihr werft Euren trendigen Rucksack über die Lehne der ungehobelten Bank, geht zur Theke und bestellt ein Leberwurstbrot (Lewwerworschtebrood) mit Fächergurke, Handkäs‘ mit Musik oder Gequellte mit weissem Käs‘, dazu auf jeden Fall eine amtliche Rieslingschorle. Weissherbstschorle geht auch. Bestellt kein -Bier: -man wird Euch siezen und ein Kissen anbieten. Bestellt auch keine kleine Rieslingschorle:  man wird Euch freundlich sagen, dass Ihr wiederkommen sollt, wenn Ihr richtig Durst habt. Eine Rieslingschorle kommt im Dubbeglas und beinhaltet einen halben Liter. Der Pfälzer sagt: „Was anderschwu e Blummevaas – des iss bei uns e Dubbeglas.“ Die Dubbe, also die Dellen in der Glaswand, haben wir uns einfallen lassen, damit uns beim Essen fettiger Gerichte nicht weiterhin die Gläser aus der Hand rutschen. Wir essen immer noch mit den Händen.

Wir wandern viel, wir wandern so oft wie möglich. Wandern ist Ausgleich und Rettung. Der Deutsche Wanderverein hat 2010 folgende Definition formuliert:

"Wandern ist zweckfreies Gehen in der Landschaft. Dabei handelt es sich um eine Freizeitaktivität mit unterschiedlich starker körperlicher Anforderung, die sowohl das mentale wie das physische Wohlbefinden fördert. Charakteristisch für eine Wanderung sind:

  • eine Dauer von mehr als einer Stunde,
  • eine entsprechende Planung,
  • Nutzung spezifischer Infrastruktur sowie
  • eine angepasste Ausrüstung“

Das stimmt schon, aber auch nicht ganz. Man kann nämlich auch eine dreiviertel Stunde lang ohne jede Planung querfeldein in Crocs und Netzunterhemd durch den Wald streunen. Schon ist man gewandert.

Unsere Tiny Places sind der perfekte Ausgangspunkt für kurze, mittlere, lange und sehr lange Wanderungen. Wir halten für Euch gutes Kartenmaterial und detaillierte Beschreibungen unserer Lieblingswanderungen vor:

  • der geniale Premium-Dreiburgenweg Altleiningen – Battenberg – Neuleiningen – Altleiningen, direkt vor den Tiny Places beginnend (K)
  • der Altleininger Klosterweg, ebenfalls hier beginnend (K)
  • die Eckbachrunde nach Westen zum Naturfreundehaus Rahnenhof, auch hier beginnend (F/K)
  • die Eckbachrunde nach Osten, auch hier beginnend (F/K)
  • die kleine Dorfrunde nach dem Abendessen, eine ermutigende und ernüchternde Architekturbilanz, ebenfalls von hier ausgehend (F/K/R)
  • der Stadtmauerweg um Neuleiningen herum (K)
  • die höchst geheime Tunnelwanderung am Eiswoog
  • die verbotene Zwei-Geheime-Seen-Wanderung von Forst nach Wachenheim (F/K/R)
  • der spirituelle Weg zum Kloster Rosenthal (F/K/R)
  • der grüne Weg durch das brodelnde Karlstal (K)
  • der Weg durch die Weinberge und über den Golfplatz nach Freinsheim (F/K/R)
  • der Weg durch das verlorene Berntal zur Winzergenossenschaft Herxheim, dort ein Prosecco (F/K)
  • die Entdeckung des römischen Steinbruchs Krimhildenstuhl und des Teufelssteins am Rande von Bad Dürkheim (F/K)

Dabei bedeutet

F = fahrradgeeignet (manchmal nur Mountain Bike)

K = kinderwagengeeignet

R = rollstuhlgeeignet (ohne Gewähr – wir haben das nie versucht)

Hintergründiges

Das Leininger Land steckt voller Geschichte und voller Geschichten. Wer sich dafür interessiert, sollte eine Dorfführung beim Neuleininger Heimat- und Kulturverein buchen. Bei aller geflissentlichen Berichterstattung über die Mächtigen und Schönen ist eine Geschichte irgendwie auf der Strecke geblieben, die mehr als das verdient hat. Wir haben sie eher zufällig ausgegraben und recherchiert:

Über die Sehnsucht nach Kolossalem und das Scheitern: der Koloss von Grünstadt

Die Sehnsucht nach Kolossalem wohnt dem Menschen inne. Die Abbildung einer Person in übernatürlicher Größe vervielfacht deren Bedeutung. Dabei kennt man zweidimensionale Darstellungen nur aus den „sozialistischen“ Staaten, denn sie haben gegenüber den plastischen Darstellungen eindeutige Vorteile: sie sind billiger, können nach der Parade der Freundschaft einfach zusammengerollt werden und auf der Rückseite nochmals bemalt werden, wenn der Potentat die Herrschaft seinem dicken verblödeten Sohn übertragen hat.

Anderenorts werden kolossale Darstellungen in der Regel als Statuen ausgeführt. Das erste bekannt gewordene Beispiel ist der Koloss von Rhodos, der ab 303 v. Chr. in zwölfjähriger Bauzeit von Chares von Lindos über die Hafeneinfahrt von Rhodos gebaut wurde. Anlass war der glückliche Ausgang einer Belagerung der Stadt durch den mächtigen Gegner Demetrios I. Poliorketes. Die Staue – ein Bronzeguss mit ungefähr 35 m Höhe - war dem Sonnengott Helios geweiht und wurde sofort zum Siebten Weltwunder erklärt.

Nur 76 Jahre später brachte ein Erdbeben die Statue zum Einsturz. Obwohl von allen Seiten Mittel zur Wiedererrichtung bereitgestellt wurden, ließen die Rhodier die Bronzeteile liegen. Sie begründeten dies mit einem Orakel: „Was gut liegt, das soll man nicht von der Stelle bewegen!“ Die zum Wiederaufbau zur Verfügung gestellten Mittel wurden anderweitig eingesetzt.

Der eigentliche Verlierer war aber der Baumeister Chares von Lindos. Dieser hatte nämlich mit dem Magistrat der Stadt einen festen Preis für eine ungefähr 18 Meter hohe, also halb so große Statue vereinbart – was man heute einen Pauschalpreis nennen würde. Dann erweiterte der Magistrat den Auftrag auf die doppelte Größe der Statue. Chares verdoppelte scheinbar folgerichtig seinen Preis ebenso und begriff erst viel zu spät, dass mit einer Verdoppelung der Höhe eine Verachtfachung des Gesamtaufwands einherging. Der Magistrat aber wollte nicht nachverhandeln – Pauschalpreis ist eben Pauschalpreis, der Auftragnehmer hat zu liefern, was bestellt wurde. Dieser dümmliche Rechenfehler trieb den Chares in die persönliche Insolvenz und schliesslich in den Selbstmord.

Seitdem stehen kolossale Bauwerke in aller Welt oft für Größenwahn und Maßlosigkeit.

Von diesen Tendenzen ist auch die Pfalz nicht frei. Im Jahr 1901 fasste der Grünstadter Brauereibesitzer Jean Jost in patriotischer Wallung den Plan, im Grünstadter Stadtpark eine kolossale Bismarckstatue zu errichten. Sie sollte aus einem Stück, aus dem Vollen, gefertigt werden. Sogleich machten sich die Arbeiter des Steinbruchbesitzers Konrad Bendinger aus Tiefenthal über einen riesenhaften Findling her, der im steilen Nordhang oberhalb des westlichen Endes des Eckbachweihers, also zwischen Neuleiningen und Altleiningen, im Wald lag. Bendinger sollte nach erfolgreichem Transport des Rohlings nach Grünstadt dort auch die Steinmetzarbeiten erledigen und die Statue ausarbeiten.

Der Findling – man nannte ihn im Volksmund nicht ganz zutreffend den „Hinkelstein“ – wurde durch Spaltung um etwa die Hälfte seiner Mächtigkeit reduziert und sollte dann auf Baumrutschen ins Tal hinab- und dort auf einen Transportwagen gleiten, der wiederum die schwere Fracht nach Grünstadt bringen sollte. Diese Strecke beträgt auf den heutigen Wanderwegen ungefähr 5,7 km.

Dieser erste Versuch scheiterte erbarmungslos. Der Monolith zermalmte das Transportfahrzeug regelrecht. Man hatte in völliger Verkennung der Lage eine ortsübliche „Rolle“, also einen Transportanhänger aus der Landwirtschaft, lediglich etwas ertüchtigt und mit einem Geschirr für vier Pferde ausgerüstet.

Das Gewicht des Monoliths wurde damals mit 600 Zentnern angegeben. Ein zeitgenössisches Photo zeigt ihn mit zwei Arbeitern, die als Größenvergleich dienen können. Danach betrugen seine Maße ungefähr 1,60 x 2,20 x 6,50 m. Bei einer Sandstein-Rohdichte von 25 kN/m3 ergibt sich hieraus ein Gewicht von 570 Zentnern oder 28,5 Tonnen.Die Abschätzung der tollkühnen Patrioten war in dieser Hinsicht also zutreffend, ihre Folgerungen für den Transport aber dilletantisch. Unter heutiger Betrachtung war das gesamte Unterfangen völlig abwegig. Wir befragen Franz Adam, den Bürgermeister von Neuleiningen. Franz war Spediteur, Kenner der Leininger Landschaft und politisch bei den Schwarzen – also kompetent in allen Wirtschaftsfragen:

Wer heute einen 28,5 Tonnen schweren Findling aus dem Wald oberhalb des Eckbachweihers nach Grünstadt bringen wollte, müsste einen Spezialtransport in Auftrag geben: zunächst ein 200-Tonnen-Kran mit einer Reichweite von 100 Metern zum Verladen des Steins, dann ein Tiefladertransport über die L 520 mit Lalü-Lalü und Sperrung der Ortsdurchfahrt Kleinkarlbachs, schließlich ein 100-Tonnen-Kran zum Abladen; die Straßensperrung würde Franz übernehmen, denn er ist auch Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr. Das Ganze würde heute nicht mehr als 3.000 € und eine Kiste Wein für die Feuerwehr kosten. Damals aber gab es keine Schwerlastkräne, keine Tieflader und keinen Franz.

Fünf Jahre lang (!) arbeitete man daher an technologischen Verbesserungen. Eine Rolle in bisher unbekannter Größe und Stärke mit Geschirr für 10 Pferde wurde konstruiert. Am 11. Mai 1905 ging man mutig erneut zu Werke. Bereits auf dem ersten Abschnitt, noch im Eckbachtal, stellten sich jedoch Schwierigkeiten ein. Dazu schrieb die „Grünstadter Zeitung“:

„Der schon seit längerer Zeit bestehende Plan des Herrn Bierbrauereibesitzers Jean Jost dahier, den ihm gehörigen, ca. 600 Ctr. schweren Felsblock, ein Theil eines großen Felsens im Altleininger Thale, Hinkelstein genannt, behufs Errichtung eines Bismarckdenkmals hierher bringen zu lassen, hat jetzt greifbare Formen angenommen, indem man den Felsen in den letzten Tagen aus seiner bisherigen Lage entfernte und zum Transport auf eine stark gebaute Rolle brachte, um ihn alsdann heute Nachmittag unter Vorspann von 10 Pferden des Herrn Jost hierher zu bringen. Leider wurde aber dieser Plan in seiner Ausführung dadurch gestört, dass die Rolle mit ihrer schweren Last in der Nähe der Neuleininger Steingutfabrik zu nahe an den Rand der Chaussée gerieht, wodurch sich die Räder auf der einen Seite des Wagens in den Boden eingruben. Es ist daher jetzt zunächst nöthig, mittelst Winden die Rolle zu heben und auf die Mitte der Straße zu bringen und soll, um den Weitertransport zu erleichtern, ein Theil des Steines abgehauen werden.“

Die bis dahin zurückgelegte Strecke betrug ungefähr 750 Meter. Die neue Strategie war prinzipiell richtig: Gewicht reduzieren und über das Streckenprofil nachdenken – so würde es heute jeder vernünftige Wanderer machen, der konditionelle Probleme bekommt.

Man beschloss also, neben der Volumenreduzierung auch eine Änderung an der Streckenführung vorzunehmen: nicht mehr über den steilen „Katzenstich“ und damit über Sausenheim, sondern über das Dorf Kleinkarlbach sollte die Reise weitergehen. Sie würde zwar um etwa 700 Meter länger sein, aber durch ihr deutlich flacheres Profil zum Gelingen beitragen. Es kam anders. Am 15. Mai 1905 schrieb die Grünstadter Zeitung dazu:

„Der Transport des „Hinkelsteins“ hat vorläufig eine Unterbrechung erfahren, da nach den bis jetzt gemachten Erfahrungen die Weiterbeförderung noch allzu große Schwierigkeiten bereitet hätte. In Folge dessen wurde der Stein heute Nachmittag von der Rolle abgeladen und lagert derselbe nun am Rande der Chaussée von hier nach Kirchheim am Eckbach vis-a-vis der Eckenbeiß’schen Mühle. Wie man hört, soll der Stein nunmehr allen überflüssigen Ballastes entledigt und alsdann im behauenen Zustand, wodurch er immerhin einen beträchtlichen Teil seiner Schwere verlieren dürfte, nach Grünstadt gebracht werden. Der Zudrang des Publikums ist noch immer ein sehr großer, und fanden sich namentlich am gestrigen Sonntage eine große Anzahl von Besuchern aus nah und fern am Standorte des Steins ein.“

Unerwähnt bleibt, dass zwischen Kirchheim und Grünstadt ein strammer Anstieg liegt, welchen die kolossale Fuhre nie hätte bewältigen können. Die grandiose Unternehmung war an ihr Ende geraten. Am 12. Januar 1906 schrieb die Grünstadter Zeitung den Abgesang auf ein großes Kapitel pfälzischer Sehnsucht nach Kolossalem:

„Heute wurde die Sprengung des vor einem halben Jahr aus dem Altleininger Thale unter so großen Schwierigkeiten und Gefahren transportierten und in Folge der Unmöglichkeit des Weitertransports neben der Chaussée nach Kirchheim abgeladenen Hinkelsteins, welcher von Herrn Brauereibesitzer Jean Jost aus Grünstadt für ein Bismarckdenkmal bestimmt war, durch Herrn Steinbruchbesitzer Bendinger aus Tiefenthal, auf Kosten des Eigentümers vorgenommen, uns zwar wurde der Felsen in 3 Stücke zersprengt, während morgen die weitere Zerlegung derselben erfolgen wird“

Es ist ein Wunder, dass die Tollkühnen mit ihrer Riesenlast überhaupt bis nach Kirchheim gekommen sind. Alleine der Versuch hat sie geadelt. Sie sind ihrer Sehnsucht gefolgt und gescheitert.

Bis heute gibt es in Grünstadt kein Bismarckdenkmal. Der Brauereibesitzer Jean Jost aber ist vier Jahrzehnte nach diesen Ereignissen friedlich im Kreise seiner Lieben entschlafen, ganz anders als der Baumeister des Kolosses von Rhodos. Braumeister verkraften offenbar schwere Schläge des Schicksals besser als Baumeister. Die Brauerei Jost wurde erst im Jahre 1969 geschlossen. 2017 hat die "Craft-Beer-Schmiede BrauArt" in Sausenheim gemeinsam mit Nachkommen der Familie Jost die Marke wieder aufleben lassen. Man braut unter dem Label Jost-Bräu zwei prächtige Biersorten: ein Pils und ein Kellerbier.

Es geht aber auch anders:

Über die Sehnsucht nach Kolossalem und das Gelingen: der Koloss von Böchingen

Die Sehnsucht nach Kolossalem wohnt dem Menschen inne; wir haben es gerade erklärt. In Böchingen, nahe Landau, sieht man das Gelingen. Man sieht die Kraft und die Herrlichkeit.

Hier hat der Bildhauer Volker Krebs seinen Traum verwirklicht: eine fast acht Meter hohe Skulptur, gehauen aus einem einzigen Sandstein-Monolith, der 80 Tonnen gewogen hat. Sie steht fest und stark in seinem Skulpturengarten und überragt ein paar Dutzend seiner Werke aus Stein und Eisen. 80 Tonnen ist mächtig viel Zeugs. Ein modernes Einfamilienhaus in Holzbauweise wiegt nicht viel mehr. Das möchte man genauer verstehen.

Zwei Wochen später treffen wir ihn. Volker Krebs steht ziemlich lässig und ohne jede Attitüde neben seinem Koloss und gibt Auskunft über diese Wahnsinnstat. Krebs kommt aus der Pfalz, er redet wie ein Pfälzer, er mag die Pfälzer Kost und ihre Tradition - aber er ist ein bekennender Berserker. Ansonsten ist alles soweit okay mit ihm: Schule, schon damals abgelenkt von der heimlichen Arbeit am Stein, Abitur, immer noch abgelenkt von der zunehmenden Befassung mit Stein, Studium an der Akademie, seitdem intensive Arbeit am Stein, schließlich der Lehrauftrag an der Uni Landau: Bildhauerei als Weg und Ziel, oft in der seltenen Verbindung von Eisen mit Stahl.

Vor 10 Jahren kam ihm die dringende Idee, eine kolossale Statue aus einem Stück zu erschaffen. Das ist nichts für Oberschüler und schon gar nichts für Künstler, deren Lieblingsgriff der nach dem Sektglas auf der Vernissage ist. Da muss man schon aus anderem Holz geschnitzt oder aus anderem Stein gemeisselt sein.

Die Künste sind unterschiedlich: in der Musik ist das Ergebnis mit seiner Herstellung schon verflogen – der Konzertbesucher kann bereits in der Pause nicht mehr sicher sagen, was er gehört hat, denn Töne sind in unserer Wahrnehmung nicht speicherbar. Das Nachhören auf CD gibt nur den physikalischen Vorgang wieder, nicht aber den spirituellen, dies übrigens umso mehr, als neuerdings auf dem Weg des digital remasterings alle Menschlichkeiten und Fehler des musikalischen Vortrags ausgefiltert und gelöscht werden.

In der Malerei, so erklärt uns Krebs, können Fehler und Irrwege durch Übermalen immer wieder kaschiert werden. Manches Bild entsteht aus der Getriebenheit des Künstlers, immer wieder seine Fehler zu korrigieren. Das kostet nicht mehr als Zeit und Farbe. Die Vielschichtigkeit der Bilder aus der italienischen Renaissance hatte oft einen wirtschaftlichen Grund: Leinwand war teuer und wurde deshalb immer wieder übermalt. Es gibt noch einen anderen Vorteil der Malerei gegenüber der Plastik: es ist nicht teurer oder aufwendiger, in einem anderem Maßstab als dem menschlichen zu arbeiten: auf eine gegebene Menge Leinwand passt das Zugspitz-Panorama genauso gut wie ein Stillleben mit Taschenuhr.

Das verhält sich in der Bildhauerei anders: was weg ist, ist weg. Man kann nichts dranhauen, jedenfalls nicht in der subtraktiven Arbeit, bei der von einem Werkstück aus Stein oder Holz solange Teile abgenommen werden, bis das gewünschte Ergebnis erkennbar ist. Wie schafft man die Skulptur eines Löwen ? Indem man alles vom Stein weghaut, was nicht wie ein Löwe aussieht, sagt Volker Krebs. Klingt ganz einfach.

Volker Krebs hat sich seine Sehnsucht nach Kolossalem erfüllt. Er hat in einem Steinbruch bei Kaiserslautern einen 80 Tonnen schweren Sandsteinblock heraussprengen lassen, nach alter Schule. Dabei wird der Block an seinen senkrechten Kanten abgebohrt. In die Bohrungen werden Sprengschnüre abgesenkt, dann werden die Bohrungen von ruhigen Händen mit Schwarzpulver verfüllt, dessen Druckausbildung im Verhältnis zu zeitgenössischen Sprengmitteln geradezu zärtlich zu Werk geht. Die waagerechte Lagerung des Blocks muss sich dabei spannungsfrei vom Berg trennen, so dass der Block keine inneren Risse davonträgt. Sie würden das Projekt zum Scheitern bringen.

Dann heben zwei Schwerlastkräne den Block auf einen 12achsigen Tieflader und bringen ihn unter dem Getöse der unvermeidlichen Lalü-Lalü-Fahrzeuge nach Böchingen. Er wird abgeladen und der Berserker beginnt von dem liegenden Block mit dem Abbruchhammer alles wegzuhauen, was nicht nach Koloss aussieht. Das dauert vier Monate und ist mit ungewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden: der Künstler sieht das Objekt nicht in seiner späteren Lage, er kann zum Objekt nicht den Abstand einnehmen, der eine sichere Beurteilung der Entwicklung erlaubt, und er muss ungefähr die Hälfte vom Block abnehmen, ohne dass sie später fehlt.

Volker Krebs hat das so erklärt: eine gute Skulptur gibt dem Betrachter das Gefühl, dass sie den Rohling optimal ausfüllt. Wer also aus einem schäferhundgroßem Stein schließlich einen Zwerghasen herausarbeitet, hat die überflüssige Freiheit der Verschwendung in Anspruch genommen.

Krebs hat für seinen Koloss einige zeichnerische Skizzen und ein kleines Arbeitsmodell angefertigt, aber eher zur Einstimmung auf das Thema denn als maßstäbliche Vorlage. Das geplante Ergebnis jedoch muss sich von Anfang an wie ein dreidimensionales Koordinatenmodell im Kopfe des Künstlers befinden, in jeder Einzelheit definiert.

Nachdem der Block in liegender Position um ungefähr 42 Tonnen »Nicht-Koloss« erleichtert war, hat er ihn mit einem Schwerlastkran aufgerichtet und an seine endgültige Position im Skulpturengarten verbracht. Krebs hat sich eine fahrbare Hebebühne angeschafft und zuerst mit dem Pressluftmeissel, dann mit dem Schlegel weitere fünf Tonnen abgestemmt. Das dauerte den Rest des Jahres.

Wer die Figur sieht, mag nicht glauben, dass diese nun nur noch 40% des Rohlings ausmacht – so kompakt und dicht ist sie. Zieht man eine gedachte senkrechte Linie von der Kante des angeformten Sockels zum kleinen Finger der linken Hand, stellt man fest, dass dieser keine fünf Zentimeter hätte länger werden können – und er hat trotzdem perfekte Proportionen. Diesen winzigen Punkt im großen dreidimensionalen Koordinatensystem muss Krebs von Anfang an genau gekannt haben, als er noch mit dem Abbruchhammer schubkarrengroße Stücke vom Block abtrug.

Kraftvoll und doch unendlich zart reicht der Riesenkerl jemandem seine Hand, der Hilfe oder Unterstützung braucht; es könnte sich um ein Kind handeln. Krebs ist es wunderbar gelungen, die übliche Martialität anderer Groß-Skulpturen zu vermeiden. Bei näherer Betrachtung erscheint es fast so, als würde der Koloss mit seiner ausgestreckten Hand nicht nur Hilfe anbieten, sondern dieselbe auch suchen – wie etwa der Opa, der seiner Enkelin liebevoll Hilfe beim Übersteigen eines schmalen Stegs anbietet, um sich selbst auch ein wenig von ihr geleiten zu lassen.

Die Textur des Sandsteins ist in der Nahsicht gefurcht wie gepflügter Acker und in ihrer Gesamtheit doch fein wie Leinen. Sogar das grobe Gesicht hat die Charakteristik eines Menschen, den man auch nach Jahrzehnten sofort wiedererkennen würde.

Krebs verneint die Frage, ob sein Koloss ein historisches oder persönliches Vorbild habe. Er sei, sagt er nach kurzem Nachdenken, dem Menschen zugewandt. Das ist Volker Krebs jedenfalls auch, wie uns ein außerordentlich nettes und lehrreiches Gespräch im Lichte der Herbstsonne gezeigt hat. Wir freuen uns sehr darüber, dass es Menschen wie ihn gibt, denen das Kolossale gelingt.

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